alte musik
Parallel zu den Verfeinerungen durch die Serielle Musik zeigt sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Hinwendung des Interesses zeitgenössischer Komponisten zur Musik des Mittelalters. Die komplexe Melodie hat Vorrang vor der komplexen Harmonik. Im Jazz erlebt zur selben Zeit die Modale Phase einen Höhepunkt, das Spielen in einem Modus. Nicht mehr das ausgefuchste Improvisieren über komplizierte Changes steht im Vordergrund, sondern das Entwickeln einer ungewöhnlichen, aber schlüssigen Melodielinie, die sich auf einen Grundton und eine Skala bezieht.
Häufig habe ich das Vergnügen, mit Sängerinnen zu arbeiten, die neben ihrer Beschäftigung mit der Neuen Musik auch eine Affinität zur Alten Musik haben. Mit Consuelo Sañudo entstand 1995 während des Moskauer »Alternativa-Festivals« der live-Mitschnitt von »reis glorios«, einem Lied des französischen Troubadours Giraut de Bourneil.
Sowohl Consuelo als auch Maria Jonas waren Sängerinnen im Ensemble Sequentia, das sich ganz auf das Mittelalter spezialisiert hat. Mit Maria entstanden u.a. diese Versionen sephardischer Lieder »Nanni, nanni« und »Con la furcha y la cuba«; aus dem spanischen Galizien des 13. Jahrhunderts stammt »Ondas do mar de Vigo«. Maria leitet das Frauenensemble Ars Choralis Coeln, dessen Spezialgebiet die Musik der Hildegard von Bingen ist.
Zwei Musikerinnen dieses Ensembles, die Sängerin Cora Schmeiser und die Flötistin Lucia Mense, gründeten 2012 mit mir das Lunyala Trio. Hildegards »o rubor sanguinis«, Oswald von Wolkensteins »Ich spür ain tier«, das auf einer Grabstele aus dem 2. Jahrhundert vor Christus gefundene »Seikilos-Lied« und »Quis dabit« aus dem Codex Las Huelgas sind Beispiele unserer Interpretationen Alter Musik.
Gemeinsam mit der Düsseldorfer Sängerin Susanne Hille erarbeitete und produzierte ich ein Monteverdi-Programm, aber auch einzelne Stücke wie »As Flora Slept« des Renaissance-Komponisten John Hilton oder Händels »Why Do The Nations So Furiously Rage Together« aus dem »Messias«, das nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.
In den Programmen meines Duos mit dem Moskauer Geiger und Komponisten Alexei Aigui taucht zwischen Musik von Jimi Hendrix und Frank Zappa gern ein französisches oder deutsches Lied des Mittelalters auf: »Mignonne, allons voir si la rose« oder »Verlangen tut mich krenken«.
Mit meinem Kammerchor Les Saxosythes habe ich Aufnahmen von »o virgo splendens« aus dem Llibre Vermeill de Montserrat und verschiedene Stücke des Oswald von Wolkenstein produziert: Weltliches wie »Herr Wiert, uns dürstet« und Sakrales wie »Der oben swebt«.
Sei willekommen in der Kunigunde
Verlangen
Marmashen Ani